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Schulisches Leben am AG
Das gesamte schulische Leben am AG zu beschreiben ist sicher nicht einfach, da jeder
das AG anders erlebt. Deswegen können hier nur Teilansichten zum Thema gegeben
werden.
Schulträger
Der Schulbesuch und die meisten Schulbücher sind kostenlos. Das verdanken wir
der Großzügigkeit der Landeshauptstadt München, die das Abendgymnasium als freiwillige Dienstleistung für
ihre Bürger anbietet. Das Münchner AG ist das einzige in Bayern, das von
einem öffentlichen Träger unterhalten wird.
Anforderungen
Wer meint, das Abitur mal so schnell zwischen Job und Kneipe mitnehmen zu können,
wird bald scheitern. Das AG verlangt vollen Einsatz und Verzicht auf Freizeit und
gewohnte Wochenendzerstreuungen. Das erklärt sich einfach damit, dass man nach
Arbeit und Schule gerade noch Zeit hat, die Post zu öffnen, die dringendsten
Telefonate zu erledigen (falls die Freunde noch auf sind) und ein Bier vor dem Zubettgehen
zu trinken. Die Lern- und Übungsarbeit füllt dann das Wochenende aus.
Nicht jeder ist intellektuell den Anforderungen des Abiturs gewachsen. Gute Auffassungsgabe,
ein funktionierendes Gedächtnis, rationelles Arbeitsvermögen und Verständnis
für Zusammenhänge sind Grundvoraussetzungen. Wer sich für ein unverstandenes
Genie hält und meint, das AG würde ihm das in Form eines Abiturzeugnisses
ohne weitere Bemühungen bestätigen, hat keine Chance.
Schülerrolle
Erstaunlicherweise haben nur ganz wenige Erwachsene Probleme, sich nach langen Jahren
wieder in die Rolle als Schüler hinein zu finden. Manche empfinden das sogar
als angenehm, wenn sie durch Unterricht und Aufgabenstellung der Lehrer in Richtung
Abitur geführt werden. Manche Studierende beobachten mit Erstaunen an sich
selbst, dass sie wieder in das Schülerverhalten wie in Kindheit und Jugend
zurückfallen. Neue Lehrer am AG müssen sich daran gewöhnen, dass
die Studierenden am AG viel motivierter als Schüler an den Tagesschulen sind
und freiwillig lernen, ja sogar nach zusätzlichen Haus- oder Übungsaufgaben
fragen. Es gibt zwar gelegentlich Rivalitäten und Cliquenbildung in Klassen,
doch sind das eher Ausnahmeerscheinungen. Der Zusammenhalt und die gegenseitige
Unterstützung sind am AG viel intensiver als an den Tagesschulen.
Wer besucht das AG?
Man findet am AG so unterschiedliche Charaktere wie im normalen Leben auch. Die
Jüngsten sind 17, die ältesten manchmal sechzig (die sind oft die besten).
Die häufigste Altersgruppe ist die von 25-30. Wer an das AG kommt, hat aus
verschiedenen Gründen den normalen Schulbesuch verpasst. Das kann sein, dass
einem als Jugendlicher die "sittliche Reife" gefehlt hat, wie der Pauker
in der "Feuerzangenbowle" sagen würde, oder dass einem einfach die Lust aufs
Lernen gefehlt hat, und Clubs, Klamotten, Fußball, Flirten und anderer Freizeitspaß
trotz vorhandener Begabung wichtiger waren. Schulabbrecher von Gymnasien stellen
einen großen Teil der Studierenden am AG. Der Anteil der Studierenden mit
Mittlerer Reife ist wohl der größte. Doch auch Absolventen der Hauptschule
schaffen gewöhnlich in glattem Durchmarsch das AG, obwohl es für sie hart
ist, sich mit zwei Fremdsprachen gleichzeitig herumzuschlagen.
Oft kann eine Leere im Leben, bedingt durch eintönige Arbeit, den Weg in die Schule
bereitet haben. Manchmal ist es auch die Unzufriedenheit mit dem gewählten
Beruf, der jemanden auf das AG treibt. So erklärt sich vielleicht der hohe
Anteil an Krankenschwestern.
In den letzten Jahren hatten wir mehrfach Kinder von AG-Absolventen an der Schule:
einen Sohn eines Ehemaligen, und drei Töchter von drei Abiturientinnen unserer
Schule. Wir warten auf den ersten Fall einer dritten Generation.
Après-School
Am Abendgymnasium wird natürlich nicht nur gepaukt und gebüffelt, das
AG ist auch eine Begegnungsstätte von Menschen, die das gleiche Ziel anstreben
und auf der gleichen Wellenlänge liegen. Viele neue, oft lebenslange, Freundschaften
werden geschlossen. Jedes Jahr gibt es mindestens drei größere Schulfeste,
deren Termine hier zu finden sind. Die Kneipen
rund um das AG z.B. die beiden Italiener (gegenüber der Schule sowie an der S-Bahn Giesing) sind nach neun Uhr oft gut mit AGlern besetzt.
Auch das Lokal im alten Giesinger Bahnhof und die italienische Eisdiele direkt neben der Schule ziehen viele Studierende an.
Der Unterricht
Am AG hat man alle Fächer wie an den Tagesgymnasien außer Kunst, Musik
und Sport. Der Unterricht beginnt um 17.10 bei Viertagesklassen oder um 17.55 bei Fünftagesklassen (nur im Vorkurs und in der 1. Klasse bei genügend Anmeldungen).
Da man in vier Jahren den Stoff von sonst acht Jahren
durchnehmen muss, ist das Tempo straffer. Der Unterricht läuft jedoch viel geordneter ab als
an manchen Tagesschulen. Die Lehrer brauchen sich nicht mit Flegeln oder Zicken
herumzuärgern und können sich voll auf das Unterrichten konzentrieren.
Da es keine Disziplinprobleme gibt, ist die allgemeine Aufmerksamkeit größer
und die Lernatmosphäre viel günstiger. Nach 21.05 Uhr werden noch Wahlunterrichte
(z.B. Sprachen wie Italienisch oder Spanisch, Joga o.ä.) angeboten. Der Freundeskreis
bietet zusammen mit dem AG Vorträge zu wissenschaftlichen und künstlerischen
Themen an. Essen und Trinken im Unterricht werden toleriert, wenn der Unterricht
nicht gestört wird und der/die Studierende zwischen Arbeit und Schulbeginn
keine Zeit hatte, etwas zu essen. Das Rauchen ist nur außerhalb des Schulgebäudes
erlaubt.
Stress am AG
Der Stress am AG kann sehr groß sein, hängt aber sehr von den Umständen
des Schulbesuchs ab. Wer einen langen Anfahrtsweg hat (manche Studierende reisen
aus Entfernungen von 90 km an) hat von vorne herein mehr Stress als jemand, der
halbtags arbeitet und in München wohnt. Auch die Art der Arbeit spielt natürlich
eine große Rolle. Normalerweise ist man nach einem Arbeitstag erholungsbedürftig,
und es erfordert schon viel Energie, in fünf Schulstunden Konzentration aufzubringen.
Gelegentlich döst jemand im Unterricht ein, was nicht immer am Lehrer liegen
muss. Naturgemäß ist der Stress in Zeiten von Schulaufgaben und Klausuren
am größten.
Hilfreich: Einkäufe können zwischen Arbeit und Schule im Lebensmitteldiscounter gegenüber oder in den beiden Supermärkten am Giesinger Bahnhof erledigt werden.
Gymnasiale Oberstufe und Abitur
Am Abendgymnasium schreibt man das gleiche Abitur wie an den Tagesgymnasien, auch
die Gymnasiale Oberstufe (ehemals Kollegstufe, jetzt 2. und 3. Jahrgangsstufe) ist die gleiche, nur dass man keine Facharbeit zu schreiben braucht.
Während des schriftlichen Abiturs, das natürlich vormittags geschrieben wird, sowie der beiden Colloquiumsprüfungen am Nachmittag muss man
Urlaub nehmen. Das Abiturzeugnis bekommt man am gleichen Tag wie die Schüler an den Tagesgymnasien. Traditionell findet eine Feier mit
anschließender Party in der Schule statt, die nie vor dem Morgengrauen
endet. Nicht wenige vermissen das AG und die freundschaftliche Atmosphäre,
die einem bei allem Stress Stütze gegeben hat. Bei jeder Abiturfeier mischen
sich Abschiedstränen in die Freude über das bestandene Abitur.
Tipps für den Schulerfolg
Am wichtigsten ist der regelmäßige Schulbesuch und intensive Mitarbeit
im Unterricht, was einem Lernarbeit zu Hause erspart. Zusammenarbeit mit Mitschülern
und Arbeitsgemeinschaften können hilfreich sein. Auf keinen Fall sollte man
Schulaufgaben oder Klausuren versäumen und sich auf Nachschriften verlassen.
Das geht meistens schief. Keine Lücken im Lehrstoff entstehen lassen! Am AG
gibt es keine Ruhephasen zum Wiederholen und Wiederkäuen des Stoffes. Das gilt
besonders für die zweite Fremdsprache. Das Fach Englisch soll man nicht unterschätzen.
Das Niveau im Englischabitur ist in Bayern sehr hoch. Wer im Urlaub erfolgreich
eine Cola auf Englisch bestellt hat, kann noch lange kein gutes Englisch, wie es
am AG verlangt wird. Mathematik ist in vielen Fällen eine Übungssache.
Gezieltes Üben von Rechnungsarten, die einem schwer fallen, kann einem weiter helfen,
wenn man auch nicht genau weiß, worum es geht. Besonders für Studierende mit Migrationshintergrund
gilt, dass perfekte Deutschkenntnisse in Wort und Schrift Voraussetzung für
den erfolgreichen Besuch des AG sind. Bei diesen Studierenden, die zu Hause oder in
ihrer sonstigen Umgebung ihre Muttersprache benützen, muss man oft feststellen,
dass sie zwar die deutsche Umgangssprache gut beherrschen, aber in Schwierigkeiten
kommen, wenn sie die deutsche Schriftsprache bei der Arbeit mit Texten, insbesondere in Deutschaufsätzen, anwenden müssen.
Es hilft, wenn man vor Beginn des Schulbesuchs gute Literatur und anspruchsvolle
Zeitungen oder Zeitschriften liest. Auch der Zusatzkurs "Deutsch als Zweitsprache", den die Schule anbietet, hilft sehr gut, Defizite auszugleichen. Nicht vorschnell aufgeben! Besonders in der
1. Klasse hören viele unnötigerweise auf. Das Ziel, das Abitur, ist noch
weit weg, und das Schuljahr zieht sich hin. Manche haben schon bereut, in der ersten
Klasse aufgegeben zu haben und sind dann später wieder gekommen, haben aber
ein Jahr oder mehr verloren. Schließlich hat man schon ein Jahr in das Abitur
investiert. Die erste Klasse ist ein wichtiges Fundament für die Gymnasiale Oberstufe.
Der Übergang von der ersten Klasse zur Gymnasialen Oberstufe (2. und 3. Klasse) erscheint oft brutal, muss es aber nicht sein. Alle Noten ab der 2. Klasse zählen zur Abiturzulassung. Eine bestimmte Anzahl von Halbjahresleistungen der 2. und 3. Klasse ergibt zusammen mit dem Ergebnis der Abiturprüfung die Gesamtqualifikation. Man kann sich also ein gutes Polster zulegen und
so das Risiko des Abiturs selbst verkleinern.
Der Kindergarten: Während der Unterrichtszeit können Eltern ihre
Kinder im Alter von einem bis fünf Jahren (nach Rücksprache auch ältere Kinder) im schuleigenen Kindergarten nach Anmeldung beaufsichtigen lassen.
Der Kindergarten schließt um 21.05 Uhr. Die Stadt München trägt
die Kosten für die Beaufsichtigung der Kinder. Der Freundeskreis des Abendgymnasiums organisiert die Kinderbetreuung.
Wozu Abitur am AG?
In erster Linie eröffnet das AG den Zugang zur Hochschule. Doch nicht alle
Abiturienten studieren auch. Im öffentlichen Dienst kann man sich mit einem
Abitur neue berufliche Chancen eröffnen. Einige wollen sich auch nur beweisen,
dass sie den Anforderungen des Abiturs genügen. Viele Personalchefs stellen
Bewerber mit AG-Abitur gerne ein, da sie bewiesen haben, dass sie hart arbeiten
können und zielstrebig sind. An der Universität wird man bei gesperrten
Fächern bevorzugt berücksichtigt.
Prominente ehemalige Abendgymnasiasten sind z.B. der ehem. Bundeskanzler Schröder, der
ehem. Arbeitsminister Norbert Blüm, der ehem. Vorstand von Mercedes Jürgen Schrempp und der ehem. bayrische Finanzminister Erwin Huber, der an unserem AG sein Abitur machte.
Scheitern am AG
Es ist kein Geheimnis, dass drei Viertel der Studierenden am AG das Abitur nicht
schaffen. Das heißt nicht, dass sie im Abitur durchfallen, sondern sie geben
vorher auf. Im Abitur selbst fallen nur wenige durch, langjährig unter fünf
Prozent. Die Gründe für das Scheitern sind verschieden. Als Erste hören
die auf, oft schon nach einer oder zwei Wochen, die meinen, das AG sei eine gemütliche
Plauderrunde, wo man seinen Freundeskreis erweitern kann. Andere kommen nicht in
den Lernrhythmus, oder ein wichtiges Fach bereitet unüberwindliche Probleme.
Tragisch sind solche Fälle, in denen begabte und erfolgreiche Studierende das
AG aufgeben müssen, weil der Lebenspartner ein Ultimatum stellt: entweder Schule
oder ich, oder wenn der Arbeitgeber gegen einen Schulbesuch ist und gezielt Überstunden
nach 17 Uhr verlangt.
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